Jeder kennt sie mittlerweile: die gelbroten runden Sticker mit der Aufschrift: „Atomkraft? Nein danke.“ Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima ging ein Aufschrei durch Deutschland. 2015 dann der Wendepunkt: Wir steigen aus. Raus aus der Atomenergie, rein in den Abbau. Mittlerweile sind nur noch drei Atomkraftwerke am Netz, Ende 2022 endet auch ihre Laufzeit.
Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld ist seit 2015 stillgelegt - was ist seitdem passiert? / Credit: PreussenElektra GmbH
„‚Wir haben den Ausstieg geschafft, jetzt wollen wir das weghaben. Wir hatten die radioaktive Belastung lang genug´, solche Aussagen hören wir oft von ehemaligen Mitstreitenden“, erzählt Babs Günther vom Schweinfurter Bündnis gegen Atomkraft. Sie und ihr Mann Edo Günther verfolgen den Rückbau des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld (KKG) in der Nähe von Schweinfurt mit Sorge. Edo Günther ist als 1. Vorsitzender des Bund Naturschutzes Kreisgruppe Schweinfurt ebenfalls involviert. Das KKG ist eines von 21 Atomkraftwerken, die bisher in Deutschland abgeschaltet wurden.
Karte der Atomkraftwerke in Deutschland / Credit: Irmeli Pohl
Mehr als die Hälfte der Anlagen sind stillgelegt
„Rückbau erfordert erstmal viel Planung und Kontrolle“, erklärt Evamaria König, Technische Leitung der Kommunikation im Kernkraftwerk Grafenrheinfeld. 2014 beantragte die PreussenElektra GmbH den Abbau des KKGs, im April 2018 genehmigte das Bayerische Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz den Antrag. Seitdem setzten die Mitarbeitenden mehr als die Hälfte der Anlagen still, 6.3 Prozent der Bauteile zerlegten sie. „Da werden Kabel und Rohrleitungen durchtrennt“, erklärt König.
Die Mitarbeitenden reinigen die zerlegten Teile in mehreren Stationen im KKG von der Verstrahlung. Lediglich zwei Prozent des anfallenden Mülls aus dem KKG zählen zu radioaktivem Abfall und werden in Zwischenlager verfrachtet. Die BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH betreibt am Standort ein Lager für hochradioaktiven und eines für schwach- und mittelradioaktiven Müll. „Die BGZ ist eine hundertprozentige Tochter der Bundesrepublik“, so Edo Günther. „Das heißt, der Müll ist Allgemeinlast.“ König bestätigt dies: „Wenn die Abfälle an die BGZ übergeben sind, ist die BGZ dafür zuständig.“
Credit: Johannes Kiefer
98 Prozent der Bauteile messen die Mitarbeitenden des KKG frei. Dafür müssen sie den Grenzwert von zehn Mikrosievert pro Jahr (µSv/a) unterschreiten, der laut Strahlenschutzgesetz unbedenklich für Mensch und Umwelt ist. Uneingeschränkt freigemessener Müll geht zurück in die Wertstoffkette. Spezifisch freigemessener Müll landet entweder eingeschlossen auf der örtlichen Deponie Rothmühle oder wird verbrannt. Die Aufsichtsbehörde kontrolliert den Messwert der Materialien. Vergleichen könne man die 10µSv/a-Dosis mit einem Flug nach Mallorca, so König.
„Künstlich erzeugte Strahlung muss man nicht haben.“
„Bei solchen Vergleichen fühlt man sich nicht ernst genommen“, beklagt Babs Günther. „Was der Punkt ist: Zusätzliche, künstlich erzeugte Strahlung, die muss man nicht haben.“ Am 10µSv-Konzept gibt es Kritik, unter anderem vom BUND Naturschutz e.V. (BUND). 10µSv/a sei zunächst eine Dosis, die vernachlässigt werden könne. Wo das freigemessene Material am Ende landet, sei jedoch nicht kontrollierbar. „Die Metalle aus dem Atomkraftwerk landen dann unter anderem in Kochtöpfen“, weiß Alfred Körblein, Diplomphysiker. „Die Strahlenbelastung wird berechnet, aber die Berechnungen basieren auf Annahmen, die eine große Streubreite haben können.“
Credit: Johannes Kiefer
„Die Belastung aus dieser Atomanlage für die Bevölkerung, fürs Umfeld, ist größer als damals im Betrieb“, ist sich Edo Günther sicher. Das Bundesamt für Strahlenschutz unterschätze die Radioaktivität auf den Deponien, beanstandete der BUND bereits 2013 in einer öffentlichen Stellungnahme. Die jährlichen Mengen des freigemessenen Materials seien zu gering berücksichtigt.
Castorenbehälter nur für 40 Jahre zugelassen
Auch dass die Zwischenlager wahrscheinlich länger als genehmigt und geplant von der BGZ betrieben werden, sei problematisch: „Die Castorenbehälter mit den Brennelementen sind nur für 40 Jahre zugelassen“, so Babs Günther über die Lagerbehälter des hochradioaktiven Mülls. In 40 Jahren sei aber noch kein Endlager gebaut. Niemand wisse, was dann mit den Castoren passiert. „Langsam fängt das BGZ an, für dieses Problem Forschungsaufträge zu verteilen. Es muss sicherer werden.“
Zwei große grüne Hallen: Links das Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll, rechts für den hochradioaktiven Müll. / Credit: Irmeli Pohl
Das Ehepaar Günther wünscht sich für die Öffentlichkeit Mitspracherecht beim Thema Rückbau. „Denn es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, mit den Lasten des Mülls klarzukommen.“
von Irmeli Pohl
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