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Tschernobyl ist noch nicht gegessen

Aktualisiert: 19. Juni 2022

35 Jahre nach dem Reaktorunglück sind auch heute noch die Auswirkungen spürbar. Radioaktivitätsexperte Hauke Doerk vom Umweltinstitut München weist auf die Gefahren radioaktiv belasteter Pilze und deren Auswirkungen auf den Menschen hin.

Wenn im Herbst die Schwammerlsaison beginnt, begeben sich viele Pilzsammlerinnen und Sammler in die Wälder, um nach Pilzen zu suchen. Doch das beliebte Nahrungsmittel birgt eine Gefahr: erhöhte Radioaktivität. Die Belastung von Pilzen mit künstlicher Radioaktivität stammt in Europa aus der Tschernobyl-Katastrophe im Jahr 1986. Die Radioaktivität wird als künstlich bezeichnet, da in Deutschland, sonst kaum natürliche Strahlung, wie beispielsweise die kosmische Strahlung, auftritt. Nachdem der Reaktor explodiert ist, ist eine riesige, radioaktive Wolke in den nachfolgenden Tagen über den Westen hinweggezogen. Starke Gewitter, der sogenannte Fallout, sind der Grund dafür, warum vor allem in Südbayern Wälder besonders radioaktiv belastet waren und es teilweise immer noch sind.



Das Umweltinstitut München

Hauke Doerk ist Physiker am Umweltinstitut München und Radioaktivitätsexperte. Leugnung und Vertuschung von Gesundheitsgefahren vonseiten der Behörden waren mitunter ein Grund dafür, warum sich das Umweltinstitut nach der Explosion in der Ukraine gründete. Die Umweltorganisation informiert die Bevölkerung bei Gefahren, wie zum Beispiel bei erhöhter Strahlenbelastung.


Das Radionuklid Cäsium-137 und seine Bedeutung

Nach Angaben von Physiker Doerk, kommt dem Radionuklid Cäsium-137 hierbei die größte Bedeutung zu. Cäsium-137 ist ein radioaktives Isotop, das ausschließlich anthropogen als Spaltprodukt bei der Kernspaltung in Kernkraftwerken und bei nuklearen Explosionen entsteht.

„Mit einer physikalischen Halbwertszeit von rund 30 Jahren verbleibt Cäsium-137 langfristig in der Umwelt. Hinzukommt, dass es mobil ist, was bedeutet, dass es sich nach einer Freisetzung leicht verteilt“, sagt Doerk.


Auf Wiesen sei Doerk zufolge die Tschernobyl-Radioaktivität weitgehend ausgewaschen, jedoch hält sich diese im Wald. Das liegt zum einen am geschlossenen Stoffkreislauf im Wald, aber auch daran, dass der Waldboden nicht so stark ausgewaschen wird. Zudem nehmen verschiedene Pilzsorten Cäsium-137 verschieden stark über ihr Myzel, das sind die fadenförmigen Zellen eines Pilzes, aus dem Waldboden auf.


Radioaktive Strahlung und ihre Auswirkungen auf den Körper

Der Physiker schildert, dass jede zusätzlich aufgenommene Radioaktivität für den Menschen schädlich ist. „Experten gehen von einer linearen Beziehung aus. Je mehr Strahlung, desto höher die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken.“ Gelangt radioaktive Strahlung in den Körper, so kann diese Zellen und Erbgut so schädigen, sodass sie absterben oder zu Krebszellen mutieren.


Diese Pilzsorten sind besonders stark belastet

Dem Physiker zufolge sind Wiesen oder Zuchtpilze weitgehend unbelastet mit Radioaktivität. „Selbstverständlich hängt es sehr stark von der Kontamination des Waldstückes ab, aber wenn der Wald sauber ist, dann sind es auch die Pilze“, so der Experte. Pilzsammelnde, die sich unsicher sind, ob ihre gesammelten Exemplare belastet sind, können sich zum einen die Messdaten des Umweltinstituts München anschauen, oder sogar die Waldpilze nach München schicken. Dort werden sie auf mögliche Radioaktivität gemessen.

Maronenröhrlinge (links) oder der gelbstielige Trompetenpfifferling (rechts) weisen in Südbayern erhöhte Strahlenbelastung auf. (Bildquellen: dpa/imago)


Strahlenbelastung vermeiden – Pilze stehen lassen


Laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), liegt in Europa der Grenzwert bei 600 Becquerel pro Kilogramm für Lebensmittel, bei Säuglingsnahrung gilt ein Wert von 370 Becquerel pro Kilogramm. Becquerel ist die Einheit für Radioaktivität und gibt die Anzahl der Atome an, die pro Sekunde zerfallen. Einer Empfehlung des Umweltbundesministeriums zufolge sollten Bürgerinnen und Bürger nicht mehr als 250 Gramm Wildpilze pro Woche essen. „Wer eine Mahlzeit mit Pilzen isst, muss sich noch keine besonderen Sorgen machen. Aber es kann sich eben summieren“, erklärt Hauke Doerk.


von Ann-Kathrin Wanger




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